Wir wollen niemals auseinandergehen!

Der Preis des Scheiterns der Paarbeziehungen oder ein Tabuthema unserer Zeit. Sechs Thesen von Norbert Willbertz.

 

1. Die betroffenen Erwachsenen selbst, ihre Kinder und die Gesellschaft als ganze zahlen einen hohen Preis für das Scheitern der Paarbeziehung.

Viele Menschen erfahren im Scheitern Ihrer Paarbeziehung die erste und vielleicht einzige wirkliche Niederlage ihres Lebens. Da die Zufriedenheit mit der Paarbeziehung in hohem Maße mit persönlichem Wohlbefinden, mit Lebensfreude und Sinnerfahrung korreliert, sind Auswirkungen der Qualität der Paarbeziehung auf die körperliche und seelische Verfassung der Betroffenen nicht verwunderlich. Partnerschaftsstress hat einen nachgewiesenen Einfluss auf Herz-/ Kreislauferkrankungen. (Kiecolt-Glaser & Newton; Kiecolt-Glaser et al) Zahlreiche Veröffentlichungen bringen die moderne Volkskrankheit Depression mit Partnerschaftsproblemen in Verbindung. (Whisman & Bruce). Kinder aus Scheidungsfamilien haben höhere Raten an Verhaltensstörungen wie z.B.: schulische Probleme, Disziplinprobleme, Beziehungsprobleme mit Gleichaltrigen und schlechtere physiologische Gesundheit (Bossong, 1995; Sanders, Nicholson & Floyd, 1997; van Widenfeldt, 1995), haben als Erwachsene im Durchschnitt eine geringere psychische Gesundheit, eine geringere Ehequalität und .stabilität und eine größere Wahrscheinlichkeit, getrennt oder geschieden zu leben (Ama- to & Keith, 1991; Diekmann & Engelhardt, 1995; van Widenfeldt, 1995)

Der Preis, den die Gesellschaft für das Scheitern der Paarbeziehung zahlt, ist zunächst einmal materieller Art: In jedem dritten Scheidungsfall wird einer der Scheidungspartner zum Sozialhilfeempfänger. Insbesondere Alleinerziehende sind davon betroffen. Ihr Risiko, Sozialhilfe zu beziehen, ist 10-mal höher als das von Ehepaaren. Insgesamt ergeben sich für die öffentlichen Haushalte im Rahmen von Wohngeld und Sozialhilfe Scheidungsfolgekosten in Höhe von ca. 4 Mrd. Euro jährlich. (Wilbertz 2003)

2. Dieser Preis wird tabuisiert, mit der Folge, dass die Gesellschaft mehr oder weniger tatenlos zusieht, wie immer mehr Ehen und Familien zerbrechen.

In der gegenwärtigen Diskussion um die Kinderarmut findet das Scheitern der Paarbeziehung der Eltern als Hauptgrund für den Bezug der Sozialhilfe von Kindern keine Berücksichtigung: -Kinder Alleinerziehender nehmen einen Anteil von 60 % unter den Sozialhilfe beziehenden Kindern und Jugendlichen ein; Kinder aus dem Familientyp .Ehe- paar mit Kindern. nur 34 %, obwohl sie in der Gesamtbevölkerung fünfmal häufiger vertreten sind als Kinder in allein erziehenden Familien. Das Risiko des Sozialhilfebezugs liegt bei Kindern des Familientyps Ehepaar mit Kindern. bei 3 % und bei Kindern aus allein erziehenden Familien bei 27,4 %, d.h. neunmal so hoch. Besonders auffällig ist die Tabuisierung und die damit verbundene Tatenlosigkeit der Gesellschaft. beim Blick auf die öffentliche Förderung der Ehe- und Partnerschaftsberatung: Obwohl die Ehe-, Familien- und Lebensberatung in ihrem Angebot zu den nachgefragtesten Beratungsdiensten gehört, erhält dieses Beratungssegment von allen etablierten Beratungsdiensten die geringste öffentliche Förderung. Die rund 20 Mill. Euro, die Kommunen und Länder für Ehe- und Partnerschaftsberatung ausgeben, entsprechen weniger als 0,5 % der jährlichen Scheidungsfolgekosten (Sozialhilfe und Wohngeld als Folge von Trennung und Scheidung). Vermutlich kein anderes Leistungsgesetz der gesamten Jugendhilfe findet in der öffentlichen Förderung so wenig Berücksichtigung wie der in § 17 KJHG garantierte Anspruch von Eltern minderjähriger Kinder und Jugendlicher auf .Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung. Obwohl chronische Partnerschaftskonflikte, Trennung und Scheidung ein hohes Gesundheitsrisiko darstellen und beispielsweise Ärzte dreimal häufiger Ratsuchende auf die Ehe-, Familien- und Lebensberatung hinweisen als etwa Seelsorger, betragen die öffentlichen Ausgaben für Ehe- und Partnerschaftsberatung nicht einmal 1/100 % der Kosten des Gesundheitswesens.

3. Umgekehrt ist die Gesellschaft in vielfältiger Weise auf stabile und verlässliche Paarbeziehungen angewiesen.

Das Thema stabile und verlässliche Paarbeziehung. betrifft das Wohlergehen der betroffenen Kinder als auch drei hochaktuelle gesellschaftliche Probleme: die sinkende Geburtenrate, die Kostenexplosion im Bereich der Sozialsysteme und die Überschuldung der öffentlichen Haushalte .Qualität der Paarbeziehung der Eltern und Wohl der Kinder: Wenn Eltern gegeneinander agieren und in der Erziehung der Kinder gleichzeitig die ungeliebten Eigenschaften des Partners bekämpfen, werden Erziehungsprobleme unlösbar. Die Qualität der Partnerschaft der Eltern trägt entscheidend dazu bei, dass Kinder das ihr Leben prägende Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit entwickeln können. Wenn Kinder beobachten, dass ihre Eltern sich mögen, fühlen sie sich frei und leben sie gern!

  • Stabile Paarbeziehungen und Realisierung  des Kinderwunsches:
    -Für 84 % der in der Allensbach-Studie befragten 18 bis 44-Jährigen gehört die Stabilität der Paarbeziehung zu den wichtigsten Kriterien bei der Entscheidung für ein Kind. Im Vergleich dazu sind gesicher­te Betreuungsmöglichkeiten nur für 25 % der Befragten ausschlaggebend.
    -Nach Thomas Klein, Soziologe an der Universität Heidelberg, hat ein Paar, das acht Jahre zusammen ist, mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auch heute noch Kinder wie seine Eltern und Großeltern.
  • Qualität der Partnerschaft und Kostenexplosion im Gesundheits- und Pflegebereich:
    -Partnerschaftsstress hat einen nachgewiesenen Einfluss auf körperliche und seelische Erkrankungen.
    -Unbezahlbar sind die Stützen, die sich ältere Menschen in stabilen Beziehungen bei der gegenseitigen Bewältigung der altersbedingten Probleme und Beeinträchtigungen geben. Ohne die im Rahmen von verlässlichen familiären Beziehungen erbrachten Betreuungs- und Pflegeleistungen bräche das bestehende Versorgungs- und Pflegesystem für ältere Menschen zusammen.
  • Qualität der Paarbeziehung und Belastung der kommunalen Haushalte:
    -In jedem dritten Scheidungsfall wird einer der Partner zum Sozialhilfeempfänger.
    -Die Scheidungsfolgekosten für Sozialhilfe und Wohngeld belaufen sich jährlich auf ca. 4 Mrd. Euro.

4. Die Ehen unserer Vorfahren waren auch nicht besser als die heutigen; aber sie wurden durch äußere Stützfaktoren zu­sammengehalten, die mit der Qualität der Beziehung nichts zu tun hatten.

Die Ursachen für das Scheitern der Paarbeziehungen sind vielschichtig. Sie betreffen Aspekte, die sich unserem Einfluss entziehen, und solche, auf die die Gesellschaft Einfluss nehmen kann.
Der demographische Aspekt spielt eine Rolle, aber er steht im Widerspruch zum beobachteten Scheidungsgipfel in den ersten Ehejahren.
Bedeutsamer ist der .gesellschaftliche Gegenwind. für Ehe und Partnerschaft. Wenn unsere moderne Industriegesellschaft einseitig von Konkurrenz, Profitmaximierung, Flexibilität und Mobilität bestimmt ist, so hat dies Auswirkungen auf die Ehe, die vom genauen Gegenteil lebt: von Treue und Beständigkeit, vom Schenken, ohne zu fragen, was ich dafür zurückerhalte.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Verlust der traditionellen Stützen für Ehe und Partnerschaft zu:

  • Eher äußere Gründe, die mit der Qualität der zwischenmenschlichen Beziehung nur wenig zu tun hatten, sicherten in der Vergangenheit häufig die Stabilität der Ehen; insbesondere wirtschaftliche Gründe und verbindlich durchgesetzte ethisch-religiöse Normen zwangen das Paar, auch dann zusammenzubleiben, wenn die Beziehung innerlich bereits erloschen war.
  • Heute ist der Grad der Zufriedenheit, die beide Partner in der Beziehung erleben, das entscheidende Kriterium für die Stabilität der Ehe.
  • Dies bedeutet ein größeres Maß an Freiheit und gleichzeitig auch eine größere Gefährdung der Ehe, denn ihre Stabilität gründet jetzt auf einem Gefühl und damit auf etwas sehr Zerbrechlichem und Irritierbarem. Die auf Dauer angelegte Ehe basiert zunehmend auf etwas äußerst Flüchtigem.
  • Nicht die Geringachtung der Liebe, sonder im Gegenteil der Anspruch an die Liebe macht die Ehen krisen- und scheidungsanfällig.
    Nur lust- und lieblos nebeneinander herzuleben, enttäuscht vom anderen, enttäuscht vom Leben - das kann es doch nicht gewesen sein, darin kann sich doch nicht meine Liebesfähigkeit erschöpfen!
  • Die Möglichkeit der Trennung wird um so eher zur Realität, je unkritischer und von Illusionen bestimmt die Ansprüche an die Liebe sind.
    Paarbeziehungen unterliegen einem Entwicklungsprozess, der von seinem Wesen her Konflikte und Krisen in sich birgt.
  • Im Zusammenleben werden die Partner durch das jeweils Andersartige und Fremde des Gegenübers mit der je eigenen Einseitigkeit konfrontiert.
  • Das Quere im Verhalten des anderen fordert dazu heraus, die eigene Position zu überdenken und im Anstößigen. des anderen vielleicht Lebensmöglichkeiten zu entdecken, die einem selbst fehlen und die zu integrieren sich lohnte.
  • Wie kaum eine andere Realität des Lebens fordert die Paarbeziehung Menschen zu einem persönlichen Veränderungsprozess heraus, ein Prozess, der allerdings zwangsläufig mit Krisen und Konflikten verbunden ist und dem die Paare heute ohne die traditionellen Stützen ausgeliefert. sind.
    Es bedarf neuer Stützen, die die Paarbeziehung nicht von außen her quasi in ein Korsett zwingen, sondern sie von innen her stabilisieren: Es bedarf pädagogisch orientierter Programme,
    - die in der Bevölkerung angenommen werden und
    - die als fachlich effektiv ausgewiesen sind,
    Menschen auf die Bewältigung der unvermeidlichen Partnerschaftskrisen vorzubereiten und ihnen aus solchen Krisen herauszuhelfen.

5. Es gibt Programme, die signifikant dazu beitragen, dass Menschen die Qualität ihrer Paarbeziehung verbessern.

Die Kath. Ehe-, Familien- und Lebensberatung ist ein Programm, das in der Bevölkerung angenommen ist.

  • 100.000 Ratsuchende nehmen jährlich im Rahmen von 420.000 Beratungsstunden die Hilfe einer der 320 Kath. EFL-Beratungsstellen in Anspruch.
  • Wo das Angebot erweitert werden konnte, wird die Schere zwischen Angebot und Nachfrage besonders sichtbar. Die Kath. Ehe-, Familien- und Lebensberatung ist ein Programm, das nachweislich Menschen zu einer befriedigenderen und stabileren Paarbeziehung verhilft.
  • In einer Befragung von 3.500 EFL-Klienten der nordrheinwestfälischen Bistümer schätzten (bei einer Rücklaufquote von 48,2 %) zwei Drittel der Befragten ihre Beziehung ein halbes Jahr nach Abschluss der Beratung als befriedigender und stabiler ein. (Wilbertz, 1999)
  • Eine unter der Leitung von Notker Klann von der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung in Zusammenarbeit mit dem Psychologischen Institut der Universität Braunschweig durchgeführte Untersuchung, bei der Prä-, Post- und Follow-up-Daten erhoben wurden, ergab, dass die Ratsuchenden nach der Beratung mit ihrer Beziehung signifikant zufriedener waren und ihre Probleme besser bewältigen konnten; die affektive Kommunikation war verbessert; die Partner waren zufriedener mit der gemeinsamen Freizeitgestaltung, waren weniger depressiv gestimmt als zum Zeitpunkt vor der Beratung und hatten signifikant weniger Probleme.
  • Zusätzlich ließen sich interessante Auswirkung der EFL auf den Bereich der Gesundheit beobachten: 55 % der Ratsuchenden zeigten eine klinisch signifikante Veränderung auf der .Depressionsskala. und rund 37 % der Ratsuchenden hinsichtlich der .Liste körperlicher Beschwerden. (Kröger et al., 2003).
  • Auch die erfolgreichste Beratung ist und bleibt eine Einzelfallhilfe. Sie bedarf der Ergänzung durch ein stärker flächendeckendes, noch früher einsetzendes, noch stärker präventives Programm.
    Mit EPL (Ein Partnerschaftliches Lernprogramm), KEK (Konstruktive Ehe und Kommunikation) und KOMKOM (Kommunikations- und Kompetenztraining in der Paarberatung) bieten Franz Thurmaier und seine Mitarbeiter des Münchener Instituts für Forschung und Ausbildung in Kommunikationstherapie Programme an, mit denen sie nachweislich die Scheidungsrate beeinflussen konnten. Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigten die Absolventen des EPL-Programms nach fünf Jahren doppelt so hohe Werte hinsichtlich der Indikatoren für .Stabilität der Beziehung. und Positives Kommunikationsverhalten.
    Die Scheidungsrate. und die Indikatoren für .Negatives Kommunikationsverhalten. waren demgegenüber nur halb so hoch (Thurmaier et al.)
  • Obwohl EPL und KEK bereits in zahlreichen Familienbildungsstätten, Volkshochschulen und verbandlichen Bildungshäusern erfolgreich eingesetzt werden, ist man von einer die Bevölkerung großflächig erreichenden Maßnahme noch weit entfernt. Um dies zu erreichen, bedarf es einer neuen Prioritätssetzung in der Familienpolitik.

6. Es bedarf einer dritten Säule der Familienpolitik, die die Förderung der Partnerschaftskompetenz mit der gleichen Energie einfordert wie gerechte Transferleistungen und ausreichende Betreuungsangebote für Kinder.

Während in der EFL-Beratung der Bedarf seit Jahren nicht gedeckt werden kann und die Ratsuchenden oft monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, ist die Nachfrage nach präventiven Angeboten, unabhängig von der Qualität des Programms, in der Regel sehr gering. Zu den Ursachen für diese Zurückhaltung gehören:

  • die Angst, in die Gefahr zu geraten, allzu viel Persönliches und Intimes preisgeben zu müssen
  • die mehr oder weniger unbewusste Furcht, in einer von Sachzwängen und Fremdbestimmung beherrschten Umgebung sich in einem der wenigen verbliebenen Freiräume psychologischer Manipulation auszusetzen.

Um der weitverbreiteten Skepsis gegenüber präventiven Kommunikationstrainingsprogrammen zu begegnen, bedarf es der Aufklärung, dass solche Programme auf Grund des Kompetenzzuwachses den persönlichen Freiraum eher erhöhen.
Ferner bedarf es kreativer Ideen zur Entwicklung weitreichender motivierender Maßnahmen:

  • In einer amerikanischen Schulklasse erhielten Schüler für das Lesen eines Buches zur Belohnung 5 Dollar. Anfangs lasen die Schüler die Bücher der Belohnung wegen, später lasen sie aus Freude am Lesen und sahen in der Belohnung einen angenehmen Nebeneffekt. Nach einem halben Jahr war die Lese- und Rechtschreibefähigkeit dieser Schulklasse um 70 % höher als die der Parallelklasse (Kontrollgruppe).
  • Hochsubventionierte, pädagogisch begleitete Familienferien, in denen an jedem zweiten Vormittag, während die Kinder betreut werden, verbindlich Trainingsprogramme angeboten werden, hätten vermutlich einen vergleichbaren Effekt. Es könnten damit Personen erreicht werden, die sich über die üblichen Bildungsprogramme nicht ansprechen lassen.
  • Wer den Trend zu immer mehr Scheidungen aufhalten will, muss neue, pädagogisch orientierte Stützen für die Paarbeziehung bereitstellen. Ob dies ehevorbereitende oder ehebegleitende Kurse sind, Eheberatung oder Familienbildung, in jedem Fall kostet dies viel Geld. Dieses Geld ist nur aufzubringen, wenn die Förderung der Partnerschaftskompetenz als dritte Säule der Familienpolitik etabliert wird.
  • Die Stabilität von Familien liefert nicht die Eltern-Kind-Beziehung, sondern ausschließlich die Qualität der Partnerschaft. Das ist das vernachlässigte Gebiet in der Politik und in der Interventionsforschung. (Fthenakis, 2005).

So unerlässlich es ist, das Thema .gelingende Paarbeziehung. in die politische Diskussion zu bringen und die Weichen so zu stellen, dass Ehe Zukunft hat, erfolgreich ist ein solches Bemühen nur, wenn auch der Einzelne in der Ehe für sich selbst ein Stück eigene Zukunft entdecken kann; wenn er spürt, dass er sich in der Ehe selbst verwirklichen kann. Insofern ist und bleibt die Hilfe zum Gelingen der Paarbeziehung stets auch eine vorrangige Aufgabe der kirchlichen Seelsorge.

Norbert Willbertz